Magendarmzentrum Aare

Mastdarmkrebs: Chirurgische Präzision ist entscheidend

12. Oktober 2020

(Christoph A. Maurer)

Einleitung: Als Mastdarm oder Enddarm wird der letzte Abschnitt des Dickdarms bezeichnet. Er ist durchschnittlich 12cm lang und grenzt an den Analkanal. Im Bauchraum ist der Mastdarm von bösartigen Tumoren, d.h. Krebs am häufigsten betroffen. Mastdarmtumore machen zudem 40% aller Dickdarmtumore aus.

  1. Wer ist betroffen und gibt es Risikofaktoren?

Bei weniger als 10% der Patienten mit Mastdarmkrebs lässt sich eine familiäre Belastung mit nachweisbarer, vererbter Genmutation nachweisen. Bei den anderen rund 90% ohne familiäre Belastung tritt der Mastdarmkrebs selten vor dem 50. Lebensjahr auf. Er entwickelt sich überdies langsam über mehrere Jahre und folgt der sogenannten Adenom-Karzinom-Sequenz in etwa 97% der Fälle. Dabei entsteht zunächst ein flacher Polyp, welcher langsam zu einem pilzförmigen Polypen bzw. Adenom heranwächst, um schliesslich zu entarten und sich zu einem invasiven Tumor, also Krebs zu entwickeln. Beeinflussbare Risikofaktoren für Mastdarmkrebs sind Übergewicht, Rauchen sowie reichlich Konsum von rotem Fleisch, insbesondere in schwarz grillierter Form.

  1. Ich spüre nichts, ich habe somit kein Darmkrebs!?

Diese oft gehörte Aussage kommt einem Irrglauben gleich. Die weitaus häufigst genannten Symptome bei Mastdarmkrebs sind Änderung der Stuhlgewohnheiten oder analer Abgang von hellrotem Blut. Letzteres wird fälschlicher- und fatalerweise oft einem Hämorrhoidalleiden zugeschrieben. Schmerzen oder Darmverschluss sind Spätsymptome und damit Ausdruck eines weit fortgeschrittenen Tumorleidens.

  1. Wie geht die Therapieplanung vor sich?

Stehen Diagnose (Dickdarmspiegelung + Gewebeprobe) und Tumorausdehnung (i.d.R. CT von Bauch und Thorax sowie MRI des Beckens) fest, wird an unserer interdisziplinären Tumorkonferenz unter Berücksichtigung des individuellen Tumorstadiums ein Therapievorschlag für die Patienten erarbeitet. Oft braucht es sequenziell die drei Therapiemodalitäten Chemotherapie, Radiotherapie und Chirurgie.

  1. Bedeutet die Diagnose Mastdarmkrebs eine grosse und gefährliche Operation?

Mastdarmkrebsoperationen gehören zum Bereich der hochspezialisierten Bauchchirurgie, dürfen also nur noch von wenigen Zentren in der Schweiz ausgeführt werden, welche zahlreiche Auflagen erfüllen müssen, wie beispielsweise eine jährliche Mindestfallzahl pro Chirurg und pro Klinik. Das Operationsfeld tief im kleinen Becken, die oft engen Beckenverhältnisse, die nicht selten vorhandene Fettleibigkeit der Patienten und beim Mann die bisweilen vergrösserte Prostata machen diese Mastdarmoperationen anspruchsvoll. Bei entsprechender Erfahrung und Expertise gelingen diese Eingriffe aber fast ausnahmslos exakt, blutarm und komplikationslos.

  1. Riskiere ich den Verlust des Anus und damit einen definitiven künstlichen Darmausgang?

Bei entsprechendem Know-how sind die präoperative Diagnostik und die operative Technik heute derart ausgereift, dass eine Mastdarmamputation, d.h. also ein Verlust des Anus und damit der normalen Kontinenz, in nurmehr 5-6% aller Patienten mit Mastdarmkrebs notwendig ist (im Patientenkollektiv des Autors, gesamtschweizerisch jedoch 20-30%).

  1. Kann ich von meinem Mastdarmkrebs geheilt werden?

Die Langzeitprognose ist abhängig einerseits vom Tumorstadium, andererseits von der Qualität der Chirurgie. Ersteres ist eine Gegebenheit zum Zeitpunkt der Diagnose. Bezüglich Qualität der Chirurgie ist das exakte Durchführen einer sogenannten totalen mesorektalen Exzision entscheidend. Bei dieser Technik, welche wir bereits vor über 20 Jahren deutschsprachigen Chirurgen in Buchform1 vermitteln wollten, wird der Lymphbahnen- und Lymphknotentragende Fettkörper um den Mastdarm herum minuziös entlang einer feinen Bindegewebsschicht aus dem kleinen Becken ausgelöst. Dieser mesorektale Fettkörper ist nämlich der Ort, wohin der Tumor direkt infiltrieren oder lymphogen metastasieren (Ableger setzen) kann. Um einem Tumorrückfall im kleinen Becken vorzubeugen, muss das Mesorektum also komplett entfernt werden. Im langjährigen Kollektiv des Autors beträgt die lokale Rückfallrate weniger als 3% nach 5-jähriger Beobachtungszeit bzw. weniger als 5% bei Langzeitbeobachtung.

  1. Brauche ich zusätzlich Chemotherapie und Strahlentherapie?

Die Verfeinerung und Optimierung der chirurgischen Technik im kleinen Becken erlaubt es uns heute, bei rund 60% der Patienten auf eine Radiotherapie zu verzichten, bei welchen gemäss Richtlinien eine solche empfohlen wäre. Somit bleiben einem beträchtlichen Anteil der Patienten die potenziellen Nebenwirkungen einer Strahlentherapie erspart, ohne Kompromiss bezüglich lokaler Rückfallrate oder Langzeitüberleben2. Dagegen wird in mittleren und höheren Tumorstadien eine Chemotherapie zwecks Vorbeugung oder Behandlung von Fernmetastasen in Leber oder Lunge empfohlen. Neuerdings erfolgt die Chemotherapie bevorzugt vor der Operation.

  1. Wieviel werde ich von meiner Lebensqualität nach der Operation einbüssen?

In einem Forschungsteam haben wir ein Mastdarmersatzverfahren entwickelt. Dabei wird der Dickdarm, welcher an den Analkanal genäht wird, so umkonfektioniert, dass ein Stuhlreservoir ähnlich wie bei einem originalen Mastdarm und zudem eine Peristaltikbremse entstehen, d.h. eine Verlangsamung der vorwärts treibenden Darmbewegung. Damit sind die Patienten postoperativ viel weniger durch häufige Stuhlentleerungen, dünnen Stuhl oder gar Inkontinenz gestört. Nach 12 Monaten beklagen die Patienten diesbezüglich kaum mehr Beschwerden. Weiter haben die Verfeinerung der chirurgischen Technik und die Vertiefung der anatomischen Kenntnisse zu einer Schonung der Nerven zur Harnblase und zu den Genitalien geführt. Damit treten postoperative, urogenitale Funktionsstörungen bei erfahrenen Operateuren wesentlich seltener auf .

  1. Sind Sie unsicher?

Scheuen Sie sich nicht, eine Zweitmeinung einzuholen, selbst bei unbefriedigendem Ergebnis einer bereits stattgehabten Operation.